Lokalpolitik am Marterpfahl

Der Neuburger Liederkranz trifft mit seinem Faschingskonzert erneut ins Schwarze – und eine Ex-Stadträtin mit Pfeilen mitten ins Herz. Der Schwerpunkt liegt heuer auf dem kulturellen Leben in der Stadt, aber auch regionale Themen wie der Nationalpark kommen nicht zu kurz. Von Dorothee Pfaffel, Neuburger Rundschau.

Ex-Stadträtin Anita Kerner (Brigitte Clemens) wird von CSU-Stadtrat Otto Heckl (Urlich Agricola, rechts) und Stadtrats-Häuptling Bernhard Gmehling (links) gemartert und mundtot gemacht. (Foto: Dorothee Pfaffel)

„Was darf Satire? Alles!“ Diesem Ausspruch des Schriftstellers Kurt Tucholsky ist der Neuburger Liederkranz in seinem Faschingskonzert wieder äußerst mutig und kreativ gefolgt. Respekt! Die Sänger kritisieren, verspotten und prangern nach den Ideen von Albert Basel und Bernd Fürleger in unterhaltsamer Nockherberg-Manier so manches an, was sich in Neuburg und Umgebung zugetragen hat. Im Mittelpunkt steht diesmal das kulturelle Leben, insbesondere „Fürstenmacht und wahrer Glaube“. „Neuburg im Ausstellungsrausch. Nachlese – Zukunftsvisionen“ lautet der Titel des Stücks im Stadttheater.

„Jauchzet und preiset die Ausstellungstage!“, beginnt der Chor mit dem umgedichteten Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach. Das reicht aber nicht: „Rühmet und preiset auch mich, Roland Thiele, den geistigen Vater dieser einzigartigen Ausstellung!“, wirft Thiele alias Albert Basel selbstherrlich ein. „Rühmet und preiset auch mich, Dr. Michael Teichmann, den Kurator dieser Ausstellung, aus 100 Bewerbern ausgewählt!“, will Teichmann, toll gespielt von Hans Hüttinger, nicht zu kurz kommen. Im Duett „Ja diese Nörgeler“ („Lustige Weiber von Windsor“, Otto Nicolai) beklagen die selbst ernannten Kultur- und Museumsschwergewichte, dass sie sich gegen so viele Miesmacher durchsetzen mussten. Thiele kennt da kein Pardon, jeden Kritiker macht er im Handumdrehen klein. „Gerat’ ich einmal in Ekstase, stech aus dem Feld ich jeden Wicht!“, singt Basel, der den ehemaligen Vorsitzenden des „histerischen“ Vereins exzellent verkörpert. Und die Ausstellungsmacher müssen noch mehr einstecken: Mit einem überdimensionierten Stift in der Hand korrigiert Roland Thiele die „Fürstenmacht“-Besucherzahlen nach oben. „Zum Schluss haben sie noch viele Schüler hineingetrieben. Von wegen Punktlandung!“, ereifert sich eine Sängerin. Mehr als eine Million Euro habe die Ausstellung gekostet, die 20000 Besucher hätten aber nur ungefähr 150000 Euro eingebracht, merkt ein anderer Sänger an. Thiele weiß, warum seine Ausstellung nicht ganz so erfolgreich war wie erwartet: Schuld sind die Kulturignoranten aus Neuburg!

Auch das misslungene Layout des „Fürstenmacht“-Flyers, dessen Farben an „Mut-zum-Hut“ erinnerten, die abgezogenen Exponate und den nicht funktionierenden Chatbot Credo kritisieren die Sänger – da stürmt Neuburgs Politesse auf die Bühne, um Strafzettel zu verteilen. Sie wird grandios dargestellt von Luise Ilchmann. Das Outfit ist dem des Originals zum Verwechseln ähnlich: Sonnenbrille, Jeans, Turnschuhe, hellblaue Bluse, Weste. „Diesmal krieg ich euch. Und diesmal werden keine Strafzettel von der Stadt zurückgezogen!“, kreischt Ilchmann mit Akzent.

Nicht nur die „Fürstenmacht“-Ausstellung, auch die Staatsgalerie mit der Flämischen Barockmalerei wird von den Neuburger Kulturbanausen sträflich vernachlässigt. Auf die Spitze treiben diese Kritik trefflich Nicola Kloss als Schlossmuseumskassiererin mit dem Lied „Kein Schwein geht hier rein! Keine Sau interessiert sich dafür“ und Susanne Schimmel als Museumsaufsicht, die ultimativ gelangweilt „Ich steh oft Stunden und warte und wart’“ singt. Der Liederkranz hat aber auch konstruktive Vorschläge, wie das Schloss in Zukunft voller wird. Der OB (Bernhard Sönning) verlegt kurzerhand alle Veranstaltungen dorthin, zum Beispiel den Wochenmarkt, den Spargelanstich – und das Stadtratsweihnachtsessen. Die Stadträte sind nämlich nur mit kostenlosem Essen und Trinken ins Schloss zu bekommen. Außerdem muss ein neues Ausstellungskonzept entwickelt werden – Flamenrock statt Barockgalerie. Die „alten Schinken“ werden durch Bilder Neuburger Promis aufgepeppt. Aber wer führt durch diese erfolgversprechende Ausstellung? Da bricht ein Zickenkrieg unter den Neuburger Stadtführern los. Darf Margit Vonhof-Habermayr (Evelyn Moggl) als Amalie führen? Oder Herwig Wanzl? Der spielt sich übrigens selbst – das zeugt von Humor und Selbstironie!

Der Liederkranz setzt bei der Inszenierung auf Projektionen und Fotomontage. Das zahlt sich vor allem bei der Führung durch die „aufgerockten“ Gemälde aus: König Philipp IV. von Spanien ziert plötzlich das Gesicht von Stadt- und Kreisrat Matthias Enghuber, Prinzessin Auguste Amalie von Bayern verwandelt sich in Stadträtin Elfriede Müller. Ein Höhepunkt des Konzerts: Das Bild von der „Marter der heiligen Ursula“ wird zur „Marter der heiligen Anita“. Brigitte Clemens kommt als unschuldige Ex-Stadträtin Anita Kerner auf die Bühne, Pfeile ragen aus ihrem Oberkörper. Sie wird von Häuptling Gmehling und von ihrem Stadtratskollegen Otto Heckl an den Marterpfahl gebunden, während die beiden Gus Backus’ alten Hit „Da sprach der alte Häuptling der Indianer“ in abgewandelter Form singen. Köstlich! Kerner sieht auch einen Vorteil ihrer Situation: „Mein Rücktritt hat mich zur Märtyrerin Neuburgs stilisiert. Diese Rolle ist gar nicht so übel.“ Brigitte Clemens spielt ihre Rolle hervorragend, ebenso gelungen ihr Lied „Marter aller Arten“ („Entführung aus dem Serail“, Wolfgang Amadeus Mozart).

Und wer hat es schließlich verdient, als Pfalzgraf Ottheinrich im Schloss zu hängen? In diesem Zusammenhang wird natürlich – wie schon in der Vergangenheit – der ewige Zwist zwischen Oberbürgermeister Bernhard Gmehling und Landrat Roland Weigert thematisiert. Das Publikum kann darüber immer noch lachen. Einfach weil Bernhard Sönning als OB und Manfred Obermeier als Landrat glänzen.

Dann hat der Liederkranz noch einen dritten Vorschlag, um Fremde nach Neuburg zu locken: eine Luftschlösser-Ausstellung mit allen Projekten, die in Neuburg geplatzt sind, wie beispielsweise die Scherenschnittausstellung von Josi Meidinger, der Ryder Cup beim Wittelsbacher Golfclub – und die zweite Donaubrücke. Doch die Sänger sehen schnell ein, dass eine Luftschlossgalerie nicht so geeignet ist, um mehr Fremde nach Neuburg zu bringen.

Aber der Liederkranz ist mit seiner Weisheit hier noch lange nicht am Ende: Ein Ausstellungs-Parcour, der durch Neuburg und Umgebung führt, muss her. Führer ist natürlich Roland Thiele, der sich schon den „Fürstenmacht“-Rundweg ausgedacht hat. Pressesänger Bernhard Mahler (Norbert Stork) soll dafür die Touristen heranschaffen. Dieser Weg handelt nun geschickt verschiedene Stationen der Lokalpolitik im Schnelldurchlauf ab: die abgeholzten Linden am Karlsplatz, das immer noch leer stehende Bankgebäude am Schrannenplatz und den Mangel an Hotels in der Stadt. Weiter geht es zur Gietlhausener Kirschenkönigin. Die Baringer Wallfahrtskirche lässt man lieber aus, damit die Touristen nicht in das gleiche Funkloch geraten wie jüngst die Freien Wähler bei ihrer Klausurtagung. In Rennertshofen werden die Radler Opfer der Schnackenplage und in den Donau-Auen geraten sie in eine Demonstration der Nationalparkgegner. Dort flirtet der Landrat mit Umweltministerin Ulrike Scharf. Im traumhaften Duett singen sie: „Um Auenpark steht’s himmelblau“ und „Es muss was Wunderbares sein, von dir erhört zu werden!“ Irgendwann platzt Weigert allerdings der Kragen: „Rutscht mir doch den Buckl runter! Ich geh’ in den Bayerischen Landtag. Ich bin eh zu Höherem berufen!“ Fürs Neuburger Stadtmuseum reicht am Ende des Rundwegs leider die Zeit nicht mehr…

Das Faschingskonzert ist wieder eine überragende Leistung des gesamten Liederkranzes, vor und hinter der Bühne. Die musikalische Bearbeitung und Einstudierung lag heuer erstmals in den Händen von Martin Göbel. Die Szenen und Dialoge (Albert Basel) sind teilweise überzeichnet, aber treffen stets im Kern – genau so, wie es bei einer Satire sein soll. Einige Inhalte zeugen von verblüffendem Details-Wissen und einer begnadeten Beobachtungsgabe. Und sogar brandaktuelle Themen wurden kurzfristig eingearbeitet. Da sind seltene textliche oder gesangliche Unsicherheiten sofort verziehen. Auf alle Fälle sehenswert, vor allem für lokalpolitisch Interessierte!